Fördert das Passivhaus den Dämmwahn?
Dämmen, so heißt es, sei das Gebot der Stunde. Schließlich
leben wir seit vielen Jahrzehnten auf Kosten zukünftiger Generationen. Glaubt
man den Statistikern dann verbrauchen wir aktuell pro Jahr die Ressourcen von
1,5 Erden (also 50% mehr als wir im Zuge eines Jahres auf unserer Erde selbst
produzieren können) und unser globaler Treibhausgasausstoß wächst und wächst
und wächst. Und das trotz G7 Gipfeln und G20 Treffen. Deutschland verbraucht
sogar 4,6 Erden pro Jahr. Das geht nicht mehr lange gut!
Also runter mit dem Carbon Footprint (CO2 Fußabdruck) – aber
wie?Aufklärung ist das eine, Gesetze sind das andere. Doch wer ist das Ei und wer die Henne?
Neue Gesetze zu verordnen folgt in einer Demokratie einem
vorgeschriebenen Prozess. Das macht es
leicht und schwer zu gleich. Der Nachteil ist: mit Gesetzen die der Betroffene
nicht versteht macht man sich unbeliebt. Das kostet Wählerstimmen. Also doch
besser Aufklärung?
CO2 Fußabdruck, also den Treibhausgas-Ausstoß der durch
unsere Lebensweise entsteht, reduzieren.
Aber wie wenn man noch nicht einmal weiß was das wirklich ist und wie man das
beeinflussen kann. Manche wissen es oder haben zumindest schon einmal davon
gehört. Da geht es um Reisen, Essen, Kleidung sowie Arbeiten und Wohnen.
Ok, dann eben mehr Rad als Auto. Mehr Fisch als Fleisch. Die
Klamotten nicht gleich weg werfen und wie man arbeitet bestimmt doch eh die
Firma.
Aber eins ist klar. Footprint hin oder her. So ein
brennbares, giftiges Zeugs kommt mir nicht an die Fassade. Und außerdem: wie
sieht das denn aus. Diese Schießschartenarchitektur. Und nur weil es jetzt
neuerdings das Berufsbild des Energieberaters gibt ist es noch lange nicht klar
ob das alles Sinn macht. Sicherlich gehen die Häuser schneller kaputt, der
Schimmel blüht und verdienen tut ohnehin nur einer: Die Dämmmaffia!
So oder so ähnlich schallt es aus dem Wald der ewigen
Bedenkenträger und glücklichen Vorurteilsschubladenbesitzer. Und dann kommen da
so ein paar Dämmextremisten und behaupten Passivhaus sei die sinnvollste,
ökologischste und ökonomischste Bauform. Kann das denn sein?
Sortieren wir erst einmal. Es gibt den Neubau und den
Bestand. Damit haben wir es grundsätzlich mit zwei vollkommen unterschiedlichen
Aufgabenfeldern zu tun – auch wenn beide unter dem Oberbegriff Bauen
subsummiert werden.
Beim Neubau müssen wir nach den gesetzlichen Vorgaben der
ENEV bauen. Das sind die Mindestanforderungen. Diese Anforderungen werden in
regelmäßigen Abständen verschärft, denn es ist jedermann klar: Egal wie wenig
ein neues Gebäude verbraucht, solange es kein altes ersetzt ist es immer ein
Mehr an Energieverbrauch. Schon deshalb muss der Bedarf so minimal wie möglich
sein. Da stellt das Passivhaus erprobte und durchaus sinnvolle
Rahmenbedingungen auf und bildet schon heute die Anforderung der zukünftigen
ENEV ab. Insofern ist jeder Bauherr gut beraten sein Haus sofort nach
Passivhaus Standard zu bauen. Damit vermeidet er zumindest in kurzer Zeit ein
Haus zu haben das energetisch schon veraltet ist.
Beim Bestand ist das Ganze jedoch etwas komplexer. Da gibt
es Gebäude die können durchaus wirtschaftlich sinnvoll energetisch verbessert
werden und da gibt es andere. Die anderen besitzt man besser nicht, denn sie
stellen schlussendlich einen wirtschaftlichen Totalschaden dar. Es ist nur eine
Frage der Zeit wann dieser realisiert wird. Was das für den individuellen
Wohlstand, das Volksvermögen und die
Volkswirtschaft bedeutet wage ich gar nicht zu überdenken. Schon heute fehlt es
vielen Städten und Gemeinden am nötigen um öffentliche Gebäude in Schuss zu
halten. Schwimmbäder werden geschlossen, Kindergärten haben Eimer unter den
Dachleckagen und Schule findet im Notcontainer statt. Die energetischen
Verbräuche durchstoßen teilweise die Skala der Energieausweistabelle und
gleiches gilt für den CO2 Ausstoß.
Aber es gibt auch die Immobilie „mit Hoffnung“. 40% unseres
gesamten CO2 Ausstoßes kommt aus Gebäuden. Damit bekommt die Immobilie beim
Wettlauf um die Reduzierung des Carbon Footprint eine besondere Bedeutung. Bei
den meisten Gebäuden kann der Energieverbrauch auch durchaus wirtschaftlich und
dramatisch reduziert werden. Dazu gibt es grundsätzlich zwei Wege, die in
Kombination besonders gut funktionieren.
Ein Weg ist die Verbesserung der technischen Anlagen. Hier
vor allem die Erzeugung von Wärme und Kühle sowie Warmwasser.Ein weiterer Weg ist die Verbesserung der Transmissions- und Lüftungswärmeverluste. Das bedeutet so viel wie: besser Dämmen und klüger Lüften.
Bevor man jedoch mit einem neuen Heizkessel oder gar High
End Technikinvestitionen beginnt, sollte man die Hülle des Gebäudes in
Augenschein nehmen. Denn gute Technik muss den notwendigen Verbrauch nochmals
optimieren. Deshalb immer erst einmal den Verbrauch senken und dann Optimieren.
Damit sind wir beim Kern der „Problematik“. Denn es ist ein
nie widerlegtes Grundgesetz der Physik das der Energiefluss mit dem im
entgegengestellten Widerstand abnimmt. Was so viel bedeutet wie: je besser der
Gesamt U-Wert eines Bauteils ist umso weniger Energie kann verloren gehen. Eine
gut gedämmt Hülle wird folglich zu einem geringen Verbrauch führen. Das ist
also klar!Jetzt stellt sich natürlich die Frage ob das eine Chance oder ein Fluch ist?
Um nicht wieder auf Yellow Press Niveau zu argumentieren,
möchte ich zunächst bei der Wahl der Baustoffe nur den Hinweis führen, dass wir
in Deutschland zahlreiche und ausführliche Prüfverfahren haben um einem
Baustoff Marktreife zu bescheinigen. Ergänzend haben wir Berufsausbildungen die
eine Fachkenntnis und handwerkliche Fähigkeit verleihen, so dass wir davon
ausgehen dürfen dass der Einbau neuer Materialien per se keine Gefahr für
unsere Gebäude darstellt. Das sieht im Bereich der Nachbarschaftshilfe und
Ihrer Untergruppierungen sicherlich gelegentlich etwas anders aus. Daraus eine
grundsätzliche Meinung abzuleiten ist jedoch sicherlich nicht zulässig.
Der Bestand teilt sich in verschiedene Gebäudetypologien
unterschiedlichsten Alters. Dabei hat das freistehende EFH sowie des RH Bj.
1920-1980 den Löwenanteil mit über 50% gefolgt vom MFH gleichen Baujahrs mit
ca. 30%.
Nun muss man kein Architekturliebhaber sein um ein klares
Bild der architektonischen Qualität dieser Gebäude zu beschreiben. Alleine die
Tatsache, dass die meisten dieser Gebäude unter den Nöten und Notwendigkeiten
der Folge des 2. Weltkriegs entstanden, hat dazu geführt dass
Gestaltungsaspekte keinen hohen Stellenwert bekommen haben. Das ist einer der
Gründe warum wir heute ganze Stadtteile finden in denen gesichtslose
Einheitsstrukturen das Erscheinungsbild der Gebäude darstellen. Die einzigen
Individualisierungen sind oft die Hausfarbe und das nachträglich montierte
Vordach. Von diesen „privaten Zweckbauten“
gibt es mehrere zehntausende in unserem wunderschönen Land. Und denkt
man nun an die gestalterischen Möglichkeiten die dadurch entstehen können, dass
all diesen Gebäuden ein neues Kleid verpasst wird, dann geht einem Architekten
zumindest das Herz auf.
Natürlich wird es auch Beispiele geben wo das Aufbringen
einer neuen WDVS Fassade wiederum in einem bescheidenen Beispiel guter
Gestaltung endete. Das muss aber nicht die Regel sein. Neue Fassaden sind eine
Chance, eine sehr umfassende sogar. Denn sie reduzieren nicht nur den
Energieverbrach und CO2 Ausstoß, sie reduzieren auch die Betriebskosten. Und,
die vielleicht größte Chance zum guten Schluss, erlaubt es Architekten und
Bauherrn der Tristesse manchen Fassadenbestandes neues Leben einzuhauchen.
Genau deshalb übrigens gehört die energetische Planung in
die Hände von Fachleuten. Die Möglichkeiten des Dämmens sind mit der rein
handwerklichen Fähigkeit nicht zu Ende. Dämmen reduziert massive den Carbon
Footprint und gibt uns die vielleicht einmalige Chance öde und gesichtslose
Fassaden in neue, lebendige, zeitgemäße Erscheinungen zu transportieren.
Energieeffizientes Bauen - richtig gemacht - ist seit dem
Wiederaufbau eine der größten Chancen Deutschland eine neues, zukunftsfähiges
und schönes Gesicht zu geben. Das Passivhaus und seine vorbildlichen Grenzwerte
geben uns dazu die bauphysikalische Richtung an. Die Schönheit kommt durch die
richtige Wahl der Partner.
Deshalb ist auch das „schnöde Dämmen“ eine Aufgabe für
Architekten.